Guten Tag, ich heiße Almira Kern. Ich bin vor circa 13 Jahren aus Russland nach Deutschland umgezogen und wohne in Augsburg, in Bayern. Seit einigen Jahren arbeite ich als Ärztin in Weiterbildung hier in Bayern, im Krankenhaus.

Wie sieht Deine jetzige Arbeitssituation aus? Hast oder hattest Du Schwierigkeiten dabei, eine Arbeitsstelle zu finden?

Früher hatte ich größere Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden. Vor allem, als meine Tochter klein war. In der Stadt, wo ich wohne, konnte ich nicht einmal einen Praktikumsplatz finden. Ich wollte zumindest eine unbezahlte Praktikumsstelle finden, irgendwo im Krankenhaus, und konnte es nicht. Nur nachdem ich in Berlin einen Integrationskurz für Ärzte absolviert habe, durfte ich damals gesetzlich diese Praktikumszeit im Krankenhaus machen. Das habe ich dann auch getan. Ja, ich hatte schon Schwierigkeiten mit der Suche nach einem Arbeitsplatz.

Haben deutsche Gerichte Eingang in Dein Koch- und Essensrepertoire gefunden?

Natürlich ist ein Teil dessen, was ich koche und was wir essen, aus der deutschen Küche. Das gefällt mir auch, zum Beispiel Schupfnudeln mit Weißkraut. In Russland essen wir Weißkraut nur als kaltes Gericht und hier habe ich entdeckt, dass man dieses Kraut zuerst erhitzen kann und das auch sehr lecker ist!

Und auch andere deutsche Gerichte mag ich natürlich. Man kann sagen, einige Gerichte erinnern mich an auch russische, zum Beispiel ein Stück Fleisch, also als Schnitzel, mit gekochten Kartoffeln und Sauce; so ähnlich essen wir auch in Russland. Und gibt es meistens russische, aber auch Gerichte aus vielen anderen Ländern, auf unserem Essensmenü.

Was vermisst Du am Meisten an Deinem Heimatland?

Ich vermisse meine schöne Stadt und den Kontakt mit meinen Freunden und Bekannten, die ich aus meiner Jugendzeit kenne. Und vor allen diese russische Offenheit und Freundlichkeit und dass die Menschen dort etwas ruhiger sind als die Menschen hier. Das hängt wahrscheinlich auch mit dem kalten Klima zusammen.

An was denkst Du, wenn du „Multikulti“ hörst?

Multikulti bedeutet für mich, dass die Menschen in einem Land, in einer Stadt, versuchen, freundlich zusammen zu leben, einander zu verstehen, ein Kompromiss zu finden zwischen kulturellen und auch religiösen Unterschieden.

Wieso scheinen manche Deutsche Multikulturalismus zu fürchten?

Ich weiß es nicht, ich bin ja keine Deutsche, kann man so sagen. Ich weiß nicht, was sie fürchten…keine Ahnung!

Was ist die Fehlvorstellung/der Stereotyp über Menschen deines Heimatlandes, auf die du hier am häufigsten triffst?

Das ist eine schwere Frage, weil ich schon seit vielen Jahren gar nichts über die Russen höre. Ich höre schon was, aber wenn, dann von meinem Mann, der selbst Deutscher ist. J

Was ich früher gehört habe, und was meiner Meinung nach falsch ist, ist, dass die Russen unkultiviert seien.

Aber das stimmt nicht. Es gibt manchmal kultiviertere Menschen als hier in Deutschland.

Besonders auch in großen Städten, aber auch in kleinen, gibt es sehr viele Menschen, die studieren wollen, andere respektieren und versuchen, auch Menschen anderer Nationalitäten zu verstehen und freundlich mit allen umzugehen.

Was hast Du über Deutschland gedacht, bevor Du hierhergekommen bist? Hat sich Deine Meinung geändert?

Meine Meinung hat sich mittlerweile geändert, ja.

Ich habe am Anfang, in Russland noch, teilweise Angst gehabt, nach Deutschland zu kommen. Besonders nach dieser Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Dann habe ich gemerkt, dass es sehr nette und kultivierte Menschen gibt. Ich konnte auch nicht verstehen, wie dieses Volk einst diesen schrecklichen Krieg führen konnte, weil jetzt viele unter ihnen so freundlich sind.

Irma und Almira Kern


Wie verbringst Du Deine Freizeit in Deutschland? Wie hast Du Deine Freizeit in der Heimat verbracht?

Das ist auch eine gute Frage. 😉

Hier in Deutschland habe ich eine andere Welt entdeckt. Vor allem auch die türkische Welt, weil so viele Türken hier leben. Dabei auch die positive Seite dieses Volkes, obwohl wir Tataren mit den Türken sowieso etwas ähnlich sind. Ich habe Menschen aus Ländern getroffen, die ich vorher nie gesehen habe, bin in Kontakt mit ihnen gekommen. Das war auch sehr interessant für mich. Und dann bin ich viel gereist, in viele Länder Westeuropas, zum Beispiel 2-3 Mal nach Italien und konnte dieses schöne Land für mich entdecken, besonders die Natur, aber auch die Menschen. Dann nach Frankreich, jetzt vor Kurzem nach Tschechien. Oder in die Schweiz, aber auch in die Türkei. Das war etwas Neues, so viel konnte ich in meinem Heimatland natürlich nicht reisen, aus finanziellen Gründen und weil die Distanz größer ist als von hier aus.

In meiner Heimat habe ich viel gelesen als ich jung war, bin ins Kino gegangen. Das Theater habe ich dort öfter besucht als hier, sowie Konzerte, Museen, Galerien. Hier in Deutschland habe ich einen neuen Violinspieler für mich entdeckt, David Garett. Seine Musik konnte ich nur hier hören, weil er in Russland erst vor Kurzem bekannt geworden ist. Ich habe natürlich viel gearbeitet und als meine Tochter klein war, hatte ich nur wenig Freizeit, wollte meistens nur schlafen. J

Ein Rat an andere Auswanderer?

Da muss ich überlegen…

Vor allem in einer neuen Arbeitsumgebung gibt es viele Momente, in denen man sich plötzlich ganz anders verhalten muss, als man es gewohnt ist. Aus meiner Erfahrung fällt mir da die Struktur im Krankenhauspersonal ein. In Russland ist in hierarchischer Ordnung geregelt, wer das Sagen hat. Hier kann zum Beispiel jeder jeden kritisieren.
Solche neuen Normen sind erstmal unerwartet und ich musste mich damit abfinden.

Als Ausländer fühlt man sich letzten Endes nicht vollwertig … das sollte man bei seiner Entscheidung beachten.

Mein Rat: Ein Mensch, der umziehen will, sollte viel darüber nachdenken, ob er bereit ist, etwas in sich selbst zu ändern, manchmal sogar seinen Charakter, und offener zu sein. Er muss bereit sein, sich an eine andere Kultur anzupassen, und an die Arbeitsbedingungen.

Und die Menschen, die umziehen wollen, müssen auch Mut haben und Optimismus. Ohne Optimismus geht es in der Heimat nicht und im Ausland erst recht nicht.

Aber trotzdem ist es manchmal wie ein Abenteuer. Paulo Coelho, der Schriftsteller, hat geschrieben, dass Ausländer in die Dunkelheit kommen. Das hat er geschrieben. Denn zuerst ist gar nicht klar, was für ein Ort das ist, was für Menschen das sind… und dafür muss man mutig sein.


Interview by Irma – our new collaborator!

 


Von Eve

Multicoolty founder.
Always a learner, hungry runner, dog lover for life, world traveler, serial fish eater and espresso drinker, Juventus fan and a true multicoolty at heart!

Ein Gedanke zu “Es ist manchmal wie ein Abenteuer!”

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